Wenn man/frau schon relativ lange Single ist, wird doch schon mal von der besten Freundin nachgefragt: „Wann hattest Du das letzte Mal Sex?“ Das ist ja an sich nichts Anstößiges wahrscheinlich steckt ja lediglich eine gewisse Sorge nach dem Wohlbefinden dahinter. Mein erster Gedanke war: Ich weiß es gar nicht. Dann fiel mir aber das Rolling Stones Konzert ein.
Was, wie, wo und mit wem?
Das Vorspiel begann schon an meinem Geburtstag. Früh morgens schon stürmte ich in das Zimmer meines Sohnes. Ich wollte wissen ob er sich mit dem Bestellen von Eintrittskarten im www auskennt. Er grinste mich an, drehte den Bildschirm seines Computers in meine Richtung und sagte: „Meinst Du diese Tickets?“
Wahnsinn! Er hatte tatsächlich 2 Eintrittskarten ergattert. 82 Tage Vorfreude. Schon einmal hatte ich die Rolling Stones gesehen, doch dieses Mal war es etwas ganz Besonderes. Einerseits weil es so eine wunderbare Geburtstagsüberraschung von meinem Sohn war und zum anderen weil wir gemeinsam dorthin gingen.
In der langen Wartezeit wurde die Freude ein wenig gedämmt. Am 10.5.2014 lag ich mit einem frischgegipsten linken Bein auf dem Sofa und verfolgte den ESC (Eurovision Song Contest). Es war ein Abend voller Emotion. Nicht nur in Kopenhagen flossen die Tränen. Mein Liegegips verhinderte, dass ich durch die Wohnung sprang. Doch in mir tobte es. Sicherlich 180 bpm (Beats per minute/Schläge pro Minute) pochten. Mein Herz vollzog einen Freudentanz. Ein wohliges Gefühl, dass ich schon lange nicht gespürt hatte durchdrang meinen gesamten Körper. Irgendwas hatte sich in mir etwas verschoben. Aber das habe ich erst viel später realisiert. (Für diesen Abend gibt es auch ein paar Worte…aber das ist eine andere Geschichte, die ich möglicherweise auch einmal hier veröffentliche).
Am 16.6. war es soweit. Ich humpelte mit zwei Krücken freudig ins Praterstadion. 1962 wurden die Rolling Stones geboren, im gleichen Jahr wie ich. Unglaublich! Mein Sohn war ein regelmäßiger Besucher von Rock-Konzerten und hatte schon einige Musikfestivals miterlebt. Darum war auch er schon sehr gespannt, was die alten Herren so zu bieten hatten. Wir hatten einen idealen Platz gefunden, wo ich mich auch hin und wieder setzen konnte. Die Stimmung war bestens, das Wetter war ideal und ich war aufgeregt wie ein kleines Kind vor dem Christbaum. Tusch! Start me up! Endlich! Mit dem ersten Ton war ich gleich wie von Sinnen. Ich grölte mit all den Tausenden Besuchern. Meine Krücken hämmerten im Takt mit. Ich starrte gebannt auf die überdimensionale Bühne. Keinen einzelnen Moment wollte ich versäumen. Die einzelnen Töne der Musiker flogen durch die Menschenmasse und landeten tief in mir drin. Eine geballte Ladung Energie explodierte in mir, ich warf die Krücken zur Seite. Ich sprang im Rhythmus auf und ab. Kein Schmerz, keine Traurigkeit, keine Angst, nichts von all dem habe ich in diesen Stunden gefühlt. Alles wie weg geblasen. Der Sturm aus den gigantischen Boxen hatte sich durch die Poren der Haut einen Weg zu meiner Seele gepflügt. Jede einzelne Zelle füllte sich mit neuem Leben. Wahrhaftiges Leben. Jedes einzelne Härchen an Armen, Beinen und sonstigen Stellen stand stramm und formatierte sich zu Ganzkörpergänsehaut. In meinen Adern floss frisches Lebenselixier. Ich fühlte mich gleichzeitig losgelöst und eingebettet in der Schar von Menschen rund um mich. Ich war von fröhlichen glücklich tanzenden und singenden Menschen umgeben. Nichtsdestotrotz waren es fast drei Stunden sehr intime und ekstatische Momente, die ich an diesen Abend spüren durfte. Für mich ist der Vergleich mit einem erotischen Erlebnis sehr naheliegend. Auch wenn es im Konzert zu guter Letzt "I can´t get no satisfaction"
Assoziationen mit der Musik zu Ereignissen und Gefühlsverkupplungen sind nach wie vor ein Thema für mich. Ohne Musik, geht kaum etwas. Hier finden oft Klänge und Gefühle zu einander. Oder umgekehrt. Ein Wechselspiel, ein Austausch, Metamorphosen, Reaktionen, Aktionen und auch Symbiosen finden statt. Akustische Phasen der unterschiedlichsten Stile passieren. Disco und elektronische Töne, mit starkbetonten Beat. Klare und eindeutige Takte und Rhythmus der zum Tanzen animiert. Vermittelt Freude, Spaß und Lust am Leben.
Vor kurzen fand ich ein wunderbar treffenden Namen für meine Leidenschaft: Connaisseur.
Als Connaisseur (frz. connaître, kennen) bezeichnet man einen Kenner, insbesondere im kulinarischen und im künstlerischen Bereich. So werden etwa in der Wein-Szene die professionellen Verkoster und engagierten Amateure als Connaisseure bezeichnet. Aber auch in anderen Bereichen, so etwa bei Zigarren oder bei Kaffee, gelegentlich auch im musikalischen Bereich wird von einem Connaisseur gesprochen, wenn man damit ausdrücken will, dass sich eine Person durch jahrelange Erfahrung und besondere Hingabe einen feinen Geschmack und beste Kennerschaft erworben hat. In der Bildenden Kunst nannte man vor allem ab dem 19. Jahrhundert jene Experten Connaisseure, die ihre Fachkenntnis einem intensiven Studium der Kunst an Originalen verdankten, ihre Zuordnungen (Datierung, Identifizierung eines Künstlers oder einer Schule etc.) aber ohne wissenschaftliche Begründungen vornahmen. Ihre Methode war vielmehr intuitiv und die Autorität ihrer Aussagen beruhte allein auf ihrer Kennerschaft. (Quelle:Wikipedia)
Als vielseitig musikalisch orientierter Mensch habe ich eine enorme Auswahl an sehr unterschiedlichen Stilen. Eine stetig wachsende Sammlung an Hörerlebnissen breitet sich in meinem Wohnzimmer aus. Viele dieser Tonträger werden wahrscheinlich das Schicksal eines OneNightStands erleiden, und deshalb nur bei Erwerb gespielt. Zu diesem Zeitpunkt spielen sie eine spezielle Rolle für das akustische Wohlbefinden. Sie decken ein momentanes Bedürfnis ab. Jedoch gibt es da auch die Alben, welche die wie ein immer wieder gern gelesenes Buch, im Regal stehen. Auf die man in bestimmten Momenten zugreift. Oft nehme ich mir einen der vielen Tonträger (LPs, Singles, CDs usw.) intuitiv und lege sie dann in das dafür vorgesehene Gerät. Gespannt und in erwartungsvoller Stimmung lausche ich den ersten Tönen. Ich tauche ein in das Gefühl der Verführung. Charmant und betörend werde ich von den Klängen in Besitz genommen. Jeder Ton streichelt meine Seele und verwandelt sich in ein sattes Gefühl. Die einzelnen Instrumente stehen plötzlich in meinem Zimmer. Lebendige Klänge, die mich wie einen sanfter Schleier umhüllen. Ich versinke auf meinem Sofa.
Immer wieder wird mir bewusst, wie sehr mich Musik begleitet und mein Leben unterstützt, verstärkt, mich abdriften lässt. In eine völlig irreale Welt. Einer Welt, wie sie mir oft Menschen beschreiben, welche Drogen konsumieren. Habe ja vor Jahren schon mal festgestellt, dass ich irgendwie süchtig nach Genüssen bin. Pragmatisch betrachtet in vielfacher Hinsicht, die Variante, welche für mich persönlich die Erstrebenswerteste. Relativ kostengünstig, nicht wirklich die Gesundheit gefährdend, und vor allem absolut legal. Was sicherlich dabei auch eine große Rolle spielt, es bleibt trotz Schwebezustandes oder Reise irgendwo oder nirgendwo hin, das Bewusstsein für immer "on air". Mag für so manchen ein Widerspruch sein. Für mich zählt der Augenblick, welchen man auch nach vielen Jahren, abrufen kann ohne, dass er in einem Rausch ertrunken ist. Sozusagen abgesoffen im Nichts.
Mit Musik hole ich mir oft diese Momente zurück. Verfalle in Glücks oder Trauermomente. Stürze mich da rein, wie ein Klippenspringer in die wilden Fluten. Auch wenn ich unter Akrophobie (Höhenangst) leide, da überwinde ich diese Angst.
Lieder oder Songs, sind oft wie Horoskope, in welchen man plötzlich sein Leben liest. Es erscheinen dick gedruckt, als Headline alle parallelen Stellen, man fühlt sich so verstanden und denkt: "Ja, das ist so wie bei mir!" Es finden sich immer wieder Passagen, wo man sich erkennt. Zeilen, wo sich das Leben offensichtlich spiegelt, wie ein Sonnenaufgang am Morgen in einem windstillen See. Zwar vielleicht spiegelverkehrt, jedoch es ist erkennbar. Oder, ist es nur eine Sinnestäuschung?
Doch nichts ist vergleichbar mit einem Live Konzert, egal ob es nun die Rolling Stones sind oder eine Oper. Hauptsache musikalische Ekstase und mit den Noten davon fliegen.
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