Blue-Position
(eine fotografische Spielerei)
Weihnachten
war und ist für mich immer ein besonderes Fest. Selbst in meiner desaströsen
Ehe, wo ich die unmöglichsten Geschenke von meinem damaligen Mann unter den
Christbaum gelegt bekommen habe. Doch das Strahlen in den Augen meines Sohnes
konnte all dies vergessen lassen.
Sogar
die Weihnachtsabende in meiner Kindheit hatten einen kleinen Hauch an
Feierlichkeit. Auch wenn es oft so war, dass es nicht am 24.Dezember zur Bescherung kam. Da
mein Vater so besoffen Heim kam, die Wohnung wieder einmal zertrümmerte, den
Christbaum aus dem sechsten Stock in den Hof warf und wir natürlich verprügelt
wurden. Folgedessen wurde das Fest auf den 25. oder gar auf den 26.Dezember
verschoben. Eine seltsame heile Welt, die sich mir darbot. Mein Vater saß mit
Restalkohol im Bademantel auf seinem Sofa, meine Mutter schwitze in der Küche
und wir Kinder verkrochen uns in den Zimmern. Wenn dann das Glöckchen bimmelte,
trotteten wir brav und artig in den Raum, wo dann der strahlende Christbaum
stand. Und tatsächlich gab es immer Geschenke. Ich weiß bis heute nicht wie
meine Mutter das geschafft hat. Sie saß dann völlig erschöpft, oft mit einem
blauen Auge und verschwollenen Gesicht ebenfalls auf einem anderen Sofa im
Zimmer. Tränen habe ich nie ausmachen können. Wir Fünf, wollten einfach nur
Kinder sein, doch niemand traute sich irgendwie seine Freude zeigen. Es hätte
ja wieder die nächsten Prügel von meinem Vater provozieren können. Die
Schmerzen vom Vortag reichten vollkommen.
Seitdem
ich von diesem Dilemma Abschied genommen habe, bemühe ich mich diesen
Abend mit meinem Sohn einfach und friedlich zu begehen. Egal, ob es nun
Geschenke gibt, oder nicht. Wir genießen gemeinsam die Ruhe und das
Beisammensein. Vor allem ist uns das ritualisierte Speisen zusammen sehr
wichtig.
Das
hatten wir auch an jenen besagten Heiligen Abend ausreichend getan. Doch mein
Sohn wollte danach bei seinem Freund übernachten und die Weihnachtsgeschenke
gemeinsam ausprobieren. Ein wenig zögerlich stimmte ich zu, da dessen Mama auch
nichts dagegen hatte. Sie meinte nur:“Mach Dir noch einen schönen Abend!“
Was
macht man als Frau alleine am Heiligen Abend? In all den Lokalen, unter all den
meist angetrunkenen und überdimensional fröhlichen Leuten, die man nicht kennt,
und auch nicht kennen lernen will. Sich aber dennoch, die Sehnsucht nach Nähe
und Zärtlichkeit einstellt.
Dieses
eintönige Anbahnungsritual das lästige Vorgeplänkel auf den unbequemen
Barhockern. Langweilig und oft zum davonrennen. „Was trinkst denn schöne Lady?“
„Was, Kaffee? Trink was Gescheites!“ Irgendwann habe ich den charmanten
Anquatschern erzählt, dass ich Feldforschungen für mein Buch betreibe, und
dabei nüchtern bleiben muss. Die Ausrede mit dem Autofahren gilt ja nicht.
Abgesehen von all diesen ermüdenden Smalltalks an den Theken des Nachtlebens,
hatte ich ja nie die Garantie, wirklich jemand passenden, zumindest für ein
paar Stunden zu finden. Der gesamte Aufwand mit Aufbrezzeln, Hinfahren,
Hinhocken, Warten, Plaudern um dann wieder alleine Heimzufahren wurde mir zu
mühsam. Das ganze Brimborium um dann endlich abzuklären:“Zu Dir oder zu Mir?“
war mir im Laufe der vergangenen Jahre einfach zu blöd geworden.
Durch
einen Zufall ergab es sich, dass ich irgendwann mal in einem Swingerclub
landete. Dies war für solche Abende und Nächte der richtige Ort für mich.
Zumindest dieser Club. Ein relativ kleines unscheinbares Lokal im Keller. Die
Betreiber, ein Ehepaar die allerherzlichsten Gastgeber und Menschen.
Also
machte ich mich an diesen Heiligen
Abend auf,
zu ein paar warmen Stunden. Ein großes altes Haustor mit Sprechanlage. Im
Dunklen kann ich kaum die Aufschrift entziffern und nur Kenner wissen wo man
anläuten muss. Die Tür wird wortlos geöffnet. Ich gehe durch einen dunklen
Gang, entlang kalter Wände mit alten schwarzen und weißen Kacheln, bis zu einer
Doppelschwingtüre. So leise, wie ich nur kann, stöckle ich durch diese hindurch
und lande in einem noch finsteren Hinterhof. Hier stehen Mistkübel und eine
alte Klopfstange. Ein paar Lichter aus den Fenstern des Hauses, spenden gerade
so viel Licht, dass ich mich nicht in der Nacht verlier. Oft frage ich mich, ob
einige der Bewohner hinter ihren Vorhängen in den Hof lugen und die eintrudelten
Gäste beobachten. Was das wohl für Menschen sind, die da ein und aus gehen? Ein
paar Schritte geradeaus und dann links zu einem Stiegenabgang. Hier war wieder
eine Klingel angebracht, an der ich kurz drücke. Wenn sich die Tür öffnet,
schaltet sich eine kleine Lampe ein. Nun steige ich hinab in den Pfuhl der
Unanständigkeiten.
Die
Besitzerin begrüßt mich mit einer warmen und herzlichen Umarmung. Ich bekomme
ein Handtuch und einen Schlüssel in die Hand gedrückt. Die Kälte, die ich von
draußen mit gebracht habe verflüchtigt sich in kürzester Zeit. Wohlige Wärme
prallt auf meine eisigen Wangen und färben sich alsbald rot. Ich nehme meinen
kleinen goldenen Schlüssel, an dem ein rundes Plättchen hängt. Darauf ist die
Nummer 6 eingeprägt. Das passende Kästchen, so wie man sie auch in
Schwimmbädern findet, ist hinten in der Ecke. Darin ist ausreichend Platz um
die Kleidung, Schuhe und Tasche unter zubringen. Kaum war ich in der Garderobe,
da waren auch schon die ersten neugierigen Männer an der Tür um zu sehen, wer da
gekommen ist. Es gibt keine getrennten Räumlichkeiten zum an und ausziehen für
Männlein und Weiblein. Das ist wohl für den Erstbesucher schon eine kleine
Herausforderung. Scham ist unangebracht.
Heute
war es besonders voll. Kaum ein freies Plätzchen. Im Hinterzimmer, neben dem
Barraum ist heute ein opulentes Weihnachtsbuffet angerichtet. Hier drängeln
sich schon ein paar knackige Männerärsche. Ich lehne mich an die Bar und der
kleine quirlige Besitzer mit ewig guter Laune küsst charmant meine Hand. „Was trinkst
Du Schätzchen?“ „Na wenn hier schon die Kekse gestapelt sind, einen Kaffee,
bittschön!“ Ein weiterer, langjähriger Mitarbeiter bedient die Stereoanlage.
Fröhliche Tanzmusik für Alle. Aus den anliegenden Räumlichkeiten höre ich ab
und an lautes Stöhnen. Viele Damen sind heute hier, vorwiegend mit ihren
Begleitern. Alle sehen sie wunderbar aus. Abgesehen von Dessous, Strapsen,
Nylons und Heels sind einige mit Weihnachtsschmuck glänzend dekoriert. Die
Herren der Schöpfung rennen meist mit Handtuch um ihre Bäuche gewickelt herum.
Doch heute gibt es auch hier ein paar dekorative Ausnahmen.
Der
Schnürlvorhang bewegt sich leicht, neue Gäste treffen ein. Ein großes Hallo, in
der Garderobe. Das Pärchen ist vollbepackt mit riesigen Tupperbehältnissen.
Darunter verbergen sich weitere Kilos Weihnachtsbäckerei. Ich muss schmunzeln,
weil ich es so skurril finde, dieses Bild mit den Beiden. Die mit Kleidung
sicherlich wie ein unscheinbares Paar aus der Nachbarschaft aussehen, in der
Hand das Plastikgeschirr. Als würden sie gerade auf eine Jause zu den Eltern
gehen.
Ein junger fescher Kerl mit Rentierleuchtgeweih spendiert mir ein
Glas Wein. Dankend proste ich ihm zu. Steve Wonder telefoniert musikalisch und der
gutduftende junge Mann fordert mich zum Tanzen auf. Mit wenig auf der Haut, ein
wunderbares Gefühl. Andere Pärchen gesellen sich dazu. Der kleine Raum ist
brechend voll. Richtig heiß hier. Die Besitzerin lüftet kurz indem sie die Türe
in den Hof raus öffnet. Nach ein paar flotten Schritten auf den Teppich, wo
sicherlich schon Dutzende Menschen Sex hatten, wird die Musik ein wenig
kuscheliger. Einige Paare verschwinden diskret in den unterschiedlichen Räumen.
Auch ich habe an diesem Abend einen passenden Erotikpartner gefunden.
Braucht
es für Erotik und sexuelle Bedürfnisse befriedigen, Intelligenz? Nur wenn man
ein zufriedenstellendes Gespräch führen möchte. Und das findet hier im
Swingerclub nicht wirklich oft statt. Aber man weiß ja, man geht ja nicht hin
um philosophisch wertvolle Unterhaltungen zu führen. Abgesehen davon, hier
verstand man sich oft, auch ohne viele Worte. Ich hatte Glück an diesen Heiligen Abend.
Mein männlicher Körperwärmer war unterhaltsam aber auch nicht zu gesprächig. Die
richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt. Und das auch während des Sexspiels.
Für
eine kurze Weile bin ich nicht alleine nicht einsam. Ich habe hier Musik, nette
Menschen, feines Essen, eine liebevoll zubereiteten Kaffee, kuschelige
Räumlichkeiten und obendrauf kann ich meine sexuellen Bedürfnisse befriedigen
(lassen), wenn ich möchte. Es gibt keinen Zwang und Druck. Ja hier sind die
Menschen ein bisschen weniger gekleidet als sonst, doch es stört mich nicht.
Jeder hält sich an die Spielregeln. Falls nicht, wird er gnadenlos von den
Besitzern raus geschmissen. Kein Sex ohne Kondom, kein Sex nach einem
eindeutigen „Nein!“ Völlig besoffene und randalierende Gäste fliegen ebenso
gnadenlos.
Achja,
und es gibt da noch einen kleinen Saunaraum. Ebenso herrlich zum schwitzen um
anschließend unter der Dusche die nächsten SpielgefährtInnen zu treffen. Oder
einfach nur für ein ungezwungenes Plauscherl an der Bar. So manche Gespräche,
die ich dort geführt habe, bringen mich heute noch zum Grinsen.
Irgendwie
kamen wir damals auf das Thema Putzen. Es war echt witzig und ich habe vieles
erfahren, dass ich über die Hausarbeit noch nicht wusste. Welcher Schwamm am
besten für Fliesen geeignet ist, wie man Flecken problemlos aus dem Teppich
bekommt, wie man Gläser zum strahlen bringt und viele andere wertvolle Tipps.
Zwischendurch ein Quickie oder andere flotte erotische Spielchen. Wieder zurück
an der Bar:“…und wo kaufst Du diese Schwämme?“
An
einem anderen Abend, wo nicht allzu viele Menschen dort waren: Ich machte es
mir auf einem Sofa bequem, legte meine Beine auf den Hocker und sah mir „Monk“
im Fernsehen an. Es muss wohl sehr entspannend gewesen sein, weil ich nämlich
eingeschlafen bin. Fast den kompletten Abend im Swingerclub verschlafen. Ohne
Sex und ohne viele Gespräche. Dennoch für mich kein verlorener Abend. Das
Besitzerpärchen weckte mich sanft und verabschiedete mich mit einem Kaffee und
einer innig warmen Umarmung.
Ich
habe alle diese nächtlichen Ausflüge in positiver und angenehmer Erinnerung.
Speziell diesen Heiligen
Abend. Nicht viel anders als im vertrauten Familien oder Freundeskreis.
Nur das hier die Menschen tatsächlich respektvoll, herzlich und liebevoll
miteinander umgehen, auch wenn es nur wenige Stunden sind. Und auch wenn jeder
weiß, es ist nicht von Dauer, man genießt den Moment. Diese wertvollen
Augenblicke unserer Zeit, denen wir oft ewig nachlaufen.
Ein
heilbringender Abend für Seele und Körper mit weihnachtlicher friedlicher,
herzlicher, kuscheliger Wärme inklusive Liebe auf Zeit.
Wahrscheinlich
keine Lebensmodel für ewige Zeiten, doch für mich eine adäquate Alternative zu
den anonymen Bars und Lokalen mit den umständlichen Prologen für eine
ungewissen Ausgang der Nacht.
Auch
oder gerade am Heiligen
Abend.
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Sonntag, 18. Januar 2015
Heiliger Abend im Swingerclub
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