Dienstag, 13. November 2018

Nackte Seele in der Vitrine


EwigeBaustelle



Ein Plakat, eine Anzeige in der Zeitung, ein Link im Internet lockt mich in eine Ausstellung. Das Hochglanzaufpolierte Foto eines namhaften Künstlers tut sein übriges. Ich muss mir das ansehen! Ja und obendrein ist der Eintritt frei.

Voller Erwartung betrete ich die Räumlichkeiten. Eine Unzahl bunter Werke tummelt sich vor meinem neugierigen Auge herum. Farbenfrohe Exponate sind hier zu bestaunen.
Eine Ausstellung der Seelen.
Einige herausragende Schaustücke auf dem Podium im Zentrum der Präsentation. Sie sind voll ausgeleuchtet. Gut positionierte Scheinwerfer zeigen ihre Schokoladenseite. Hinter dicken Panzerglas gesichert. Eingezäunt von unsichtbaren Lichtschranken. Unantastbar posieren sie, um sich bewundern zu lassen.
Was geschieht, wenn die Scheinwerfer abgeschaltet sind? Wie fühlen sie sich in der leeren Finsternis? In der Weite des riesigen Museums? Was passiert mit den Attraktionen, wenn das Schutzglas einen Sprung bekommt oder gar entfernt wird? Wer fegt ihnen den Staub der Realität von  den schillernden hocherhobenen Schultern und Köpfen? Wenn die Schokolade von dem heißen Strahlern schmilzt? Was verbirgt sich darunter?
Offenbar unverrückbar präsentieren sie die Kraft ihrer Ausstrahlung. Sie sonnen sich im Licht der staunenden Augen. Wie fühlt sich das an? Ist es das, was sie wollten? War es ihr innigster Wunsch? Das Glanzstück der Vernissage zu sein.
Wahrscheinlich standen sie nicht immer dort. Vielleicht hat sie jemand aus einem staubigen Keller hervorgeholt. Sie restauriert und dann in den Mittelpunkt gestellt. Ihre Aufgabe ist es nun, sich exhibitionistisch lächelnd zu repräsentieren. Keiner fragt sie, ob es denn nicht anstrengend und ermüdend sei, so starr und eingefroren zu grinsen. Vermutlich werden sie es solange tun, wie es das Publikum wünscht, oder?
Die ebenso beeindruckenden Seelenexponate, sie nehmen stolz neben den anziehungskräftigen Stars ihren Platz ein. Erhaschen die Ausläufer des Lichts der blendenden Scheinwerfer. Selbstsicher wirken sie gemeinsam mit den bedeutsamen Stücken die um sie stehen. Vielleicht beneiden sie die Lichtgestalten. Aber dennoch geben sie sich Mühe auch ihre Einzigartigkeit zu präsentieren. Sie haben weniger Bewunderer, das stört sie nicht. Sie haben einen guten Platz hier in der Auslage.
Eine Unzahl an Kostbarkeiten wirken im Vorübergehen wie Dekoration. Als Zierde, als schmückendes Beiwerk. Jedoch sind sie weitaus mehr als nur wirkungsvolle Arabesken. Nein, es sind die, die vermeintlich weniger perfekt, fehlerfrei oder tadellos in den Schaukästen der Seelen brillieren. Es sind die Kostbarkeiten eines Flohmarktes. Sie haben den Zauber des Einfachen und Banalen. Fundstücke mit Patina auf ihrer dünnen Haut. Kleine Dellen und Kratzer auf dem ebenso glänzenden Lack. Der Charme von schlichter Klarheit überzeugt. Vielleicht wirken sie beim ersten Anblick, alt und gebraucht. Aber sie funktionieren in dem was sie tun. Diskret im Hintergrund nehmen sie ihre Rolle als Teil der gesamten Ausstellung wahr. Natürlich träumen auch sie wohl ab und an davon, von Allen geliebt und bewundert zu werden. Wünschen sich einige Zeit den Ruhm und die Aufmerksamkeit, der ihnen nicht immer entgegen gebracht wird. Doch wer weiß, was mit ihnen passiert, wenn sie dann tatsächlich auf dem Podium stehen? Ob sie dann noch ihre ganz besondere, einzigartige Strahlkraft aus der Tiefe behalten würden? Wenn die perfekte Beleuchtung Ihre diversen Ecken und Kanten retuschieren. Sie würden wohl an ihrer Wahrhaftigkeit und Authentizität verlieren. Die reizende Besonderheit würde durch den Glanz im Schatten verschwinden.
Selbstverständlich schaue ich mir auch die MonaLisas der Seelen an.
Doch vielmehr faszinieren mich die Ausstellungsstücke die sich und ihrem Stil treu bleiben. Mit all ihrem Edelrost der sich im Laufe der Jahre an der Oberfläche gebildet hat. Es glitzert womöglich nicht so eindrucksvoll, jedoch berührt es mich eindringlicher.
Die Seelen in der Ausstellung, an denen ich zu Beginn vielleicht unbemerkt vorüber gegangen bin. Doch beim erneuten Hinsehen, entdecke ich etwas ganz Besonders. Ich sehe es nicht lediglich mit den Augen. Ich fühle eine anziehende, geheimnisvolle, einmalige und aufrichtige Schönheit eines ungeschliffenen Diamanten. Natürlich, roh und nackt strahlt er aus dem Kern. Auch wenn er nicht perfekt ist, nicht so strahlend blinkt, er ist sehr wertvoll. Einzigartig auf seine Art und Weise.
Die Schätze liegen oft in den Tiefen eines Sees oder der Meere. In modrigen Kisten überdauern sie Jahrzehnte oft Jahrhunderte auf dem Grund. Erst dann, wenn sie jemand entdeckt, werden sie tatsächlich zu einem Juwel. Zu Perlen, Edelsteinen und wahrhaftigen Seelen in den Vitrinen einer Ausstellung.
Ich liebe diese unscheinbaren puristischen Kostbarkeiten. Ihnen gilt meine Bewunderung, Zuneigung und Verbundenheit. Die, welche ihre Strahlkraft auch in einem winzigen Schaukasten behalten. Die abertausenden glitzernden nackten Sternchen im Schein eines Sohnenstrahls.
Shine on you crazy Diamond - Pink Floyd (Album: Wish you were here/1975)
(verfasst am 09.03.2015©Bluesanne)

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